Wolfgang Leonhard (1955)
Von: F1999-RaNk 2023/01/31
Aber Ulbricht ließ ihn nicht ausreden.
„Ich wünsche nichts mehr davon zu hören. Wir werden uns sonst auf anderer Basis unterhalten“, rief er drohend.
Bernhard Koenen schwieg. Die Drohung hatte gewirkt … Dieser Beitrag erschien zuerst im Januar 2017 auf frank-c-mey.com – Die Revolution entlässt ihre Kinder
Verlag Kiepenheuer & Witsch
Die Pleite kam allerdings erst 45 Jahre später …
(Der Artikel ist illustriert mit Bildern aus dem Mehrteiler des ZDF „Tannbach“ – mehr zum Film am Ende des Beitrags)
Als am vergangenen Freitag, es war der 20. Januar 2017, die Bilder der Inauguration Donald Trumps über den Bildschirm flimmerten – „Welch eine plunderhafte Inszenierung“ überschrieb Welt einen Beitrag, der am Folgetag erschien – erinnerte ich mich an die monströsen Aufmärsche, die ich während verschiedener Aufenthalte in der ehemaligen Sowjetunion an Feiertagen erlebte, die an den Ruhm dieses Landes erinnern sollten. Nicht nur seit diesem zur Revolution hochstilisierten Putsch Lenins im Oktober 1917, sondern auch Huldigungen einer Geschichte Russlands, die von der Stalin-Propaganda in weiten Teilen komplett umgeschrieben wurde.
Ich stand vor meinem Bücherregal und mein Blick fiel auf ein Buch von Wolfgang Leonhard, das wie kein anderes die Auswüchse beschreibt, die Diktaturen eigen und zu denen Diktatoren fähig sind.
Was ist zu erwarten von einem Mann, der nun an der Spitze des reichsten und mächtigsten Staates dieser Welt steht, ein Staatswesen, das gleichzeitig die älteste und ununterbrochen funktionierende Demokratie ist und deren Verfassung Vorbilder für eine ganze Reihe von Demokratien auf dem Erdball lieferte. Muss man wieder Angst haben? Oder ist es nur die große „Show“ eines großen „Deals“, wenn der Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika pöbelnd, drohend, verleumdend, hasserfüllt und gleichzeitig getrieben von einer beispiellosen Ignoranz der Realitäten von einem Podium, das sich als der Herd der Demokratie verstanden wissen möchte, der Welt seine Antrittsrede präsentiert?
Er spreche eine Sprache, die das Volk verstünde, so hört man bisweilen. Nun gut, es ist nichts dagegen einzuwenden, wenn Politiker sich vornehmen, so zu sprechen, dass sie auch von Otto Normalo verstanden werden. Letzteres gilt auch und besonders hier bei uns. Aber ist Pöbelei, sind unverhohlene Beleidigungen wirklich die Sprache des Volkes? Oder sind sie nicht eher die Sprache der Demagogen jeglicher Couleur, die Sprache der Populisten, die sich an die niedrigsten unserer Instinkte richten und damit erst den Hass freisetzen, der ansonsten in der Breite unseres Denkens und Tuns von Vernunft unterdrückt wird?
Zumindest verführten mich die Ereignisse dazu, Wolfgang Leonhard noch einmal aus dem Regal zu nehmen und an diesem Sonntag, nach einigen Jahren, die seit dem Lesen vergangen sind, ein wenig NACH-zu lesen. Eine Geschichte, die Zusammenhänge und Ursachen dafür aufzeigt, dass Diktaturen wider die Vernunft und Interessen der Menschen keine Chance haben, die Ewigkeit zu überdauern.
Es war die Sprache Trumps, die mich an Zeiten erinnerte, die wir in den Jahren 1989/ 1990 überwunden geglaubt hatten; der offene Applaus der Europäischen Rechten wie auch das stille Grinsen einiger Linker, die auf eine Stärkung Putins hoffen (aus welchem Grunde auch immer), die Verrohung im Umgang mit anders Denkenden macht nachdenklich darüber, ob wir erneut vor einer solchen Wende stehen, einem Schwenk in die verkehrte Richtung … Die Sprache verrät den Geist.
Aus dem Klappentext: Leonhard war Dreizehn, als er mit seiner Mutter das nationalsozialistische Deutschland verlassen musste und in die Sowjetunion emigrierte. Dort wuchs Wolfgang Leonhard nach der Verhaftung seiner Mutter in einem sowjetischen Heim für österreichische und deutsche Emigranten auf, studierte an der Moskauer pädagogischen Hochschule für Fremdsprachen und trat dem kommunistischen Jugendverband der UdSSR bei. Er erlebte den Ausbruch des Krieges zwischen Hitlerdeutschland und der Sowjetunion in Moskau und wurde zwangsweise nach Karaganda umgesiedelt.
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Ein Jahr später wurde Wolfgang Leonhard in die Komintern-Schule einberufen, um für politische Aufgaben in Deutschland geschult zu werden. Nach Auflösung der Komintern arbeitete er im „Nationalkomitee Freies Deutschland„. Diese Ausbildung, politisches Interesse und Aktivität führten dazu, dass Wolfgang Leonhard zu jenen zehn Funktionären gehörte, die unter Führung Walter Ulbrichts im April 1945 nach Deutschland entsandt wurden. Die ihm nun zugewiesenen Aufgaben brachten es mit sich, dass er nicht nur die damaligen Repräsentanten der sowjetischen Besatzungszone und der späteren DDR persönlich kennen lernte.
Eine Episode aus dem ersten Nachkriegsjahr, als es um die Umsetzung der Bodenreform ging, die zeigt, wie rigoros und mit welcher Brutalität die von Moskau eingesetzten Funktionäre mit der eigenen Bevölkerung einerseits und mit Kritik aus den eigenen Reihen andererseits umgegangen sind. Eine Revolution für das Volk, wie man es nannte, sieht anders aus.
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„Sonderauftrag“ Bodenreform
Eines Nachmittags ließ mich Ulbricht kommen:
„Richte deine Arbeit so ein, dass du morgen ganz frei sein kannst. Du fährst mit mir in die Provinz Brandenburg.“
Als ich am nächsten Morgen ins ZK-Haus kam, war Ulbricht schon reisefertig. Er machte mich kurz mit zwei höheren sowjetischen Wirtschaftsfunktionären bekannt:
„Wir fahren zusammen mit diesen beiden Genossen.“
Wenige Minuten später fuhren wir ab – in den beiden elegantesten Limousinen, die dem ZK zur Verfügung standen. Unterwegs erzählte mir Ulbricht kurz, worum es ging. Die Revolution entlässt ihre Kinder – Alles lesen>>>
In den verschiedenen Orten der Provinz Brandenburg – besonders ausführlich in Kyritz – unterhielten wir uns mit den Kommandanten, mit Bürgermeistern, mit landwirtschaftlichen Sachverständigen. Ich wunderte mich, wie genau Ulbricht über die kleinsten Einzelfragen der Ablieferungspflicht aus der Nazizeit informiert war. Noch erstaunter aber war ich, als auch die beiden sowjetischen Begleiter – die übrigens fließend Deutsch sprachen – ihre Aktentaschen öffneten und Bündel von Formularen, Anweisungen und Dokumenten der Nazi-Ablieferungspflicht auf den Tisch legten. Die Revolution entlässt ihre Kinder – Alles lesen>>>
Besonders angeregt war die Unterhaltung mit zwei Spezialisten aus dem früheren „Reichsnährstand“. Ulbricht war genau über alle Einzelheiten informiert, eine Frage folgte der anderen, und die ehemaligen Reichsnährstandsfunktionäre antworteten kurz und knapp. Ulbricht schien ganz in seinem Element zu sein, wie immer, wenn es sich um praktisch-organisatorische Dinge handelte.
Der ganze Tag war mit Spezialverhandlungen im Telegrammstil über praktische Fragen der Ablieferungspflicht angefüllt gewesen. Die Bodenreform dagegen, die mich so brennend interessierte, war noch nicht zur Sprache gekommen. Die Revolution entlässt ihre Kinder – Alles lesen>>>
„Die Dinge liegen jetzt klar. Wir können die entsprechenden Vorschläge unterbreiten“, sagten die beiden Offiziere.
Etwa zwei Wochen nach der Verkündung der Bodenreform fand eine erweiterte Sitzung des Zentralkomitees statt, zu der auch ich eingeladen wurde.
Nach etwa zwei Stunden kam es zu einem Wortwechsel. Bernard Koenen, mein früherer Lehrer aus der Kominternschule, um diese Zeit Parteivorsitzender von Sachsen-Anhalt, hatte seinen Bericht über die Bodenreform beendet. Die Revolution entlässt ihre Kinder – Alles lesen>>>
„Ich möchte zum Abschluss noch eine wichtige Bitte vortragen, die unmittelbar mit der Durchführung der Bodenreform zusammen hängt. In den Leuna-Werken sollen auch zwei Anlagen demontiert werden (Anm. der Redaktion: Es geht um die Demontage ostdeutscher Industrieanlagen durch die sowjetischen Besatzer im Rahmen der Kriegskontributionen), die für die Herstellung von Düngemitteln außerordentlich wichtig sind. Ich möchte die Frage stellen, ob es nicht möglich ist, darauf hinzuwirken, dass diese beiden Hallen von der Demontage ausgenommen werden.“ Die Revolution entlässt ihre Kinder – Alles lesen>>>
„Mit Fragen der Demontage haben wir uns hier nicht zu beschäftigen“, unterbrach ihn Ulbricht.
„Aber ich möchte bloß auf die Wichtigkeit dieser Produktion für die Bodenreform hinweisen. Es sind sämtliche Vorkehrungen getroffen, dass nichts produziert werden kann, was auch nur indirekt mit der Kriegsproduktion zusammenhängt. Auf Versammlungen haben sich die Arbeiter von sich aus verpflichtet …“
„Ich habe schon gesagt, dass diese Frage nicht hierher gehört!“ sagt Ulbricht, diesmal schon mit durchdringender, scharfer Stimme. Die Revolution entlässt ihre Kinder – Alles lesen>>>
Bernahrd Koenen ließ sich jedoch noch immer nicht abbringen:
„Das geht nicht. Wir müssen hier in dieser Frage zu einer Lösung kommen. Ich habe den Arbeitern feierlich versprochen, mich dafür einzusetzen, dass diese beiden Werkhallen, die mit Kriegsproduktion nichts zu tun haben und ausschließlich zur Düngemittelherstellung …“
Aber Ulbricht ließ ihn nicht ausreden.
„Ich wünsche nichts mehr davon zu hören. Wir werden uns sonst auf anderer Basis unterhalten“, rief er drohend.
Bernhard Koenen schwieg. Die Drohung hatte gewirkt. Über die beiden Hallen der Leuna-Werke wurde nicht mehr gesprochen. Die Revolution entlässt ihre Kinder – Alles lesen>>>
Wir werden uns sonst auf anderer Basis unterhalten. Die Drohung Ulbrichts bedeutete nichts anderes als das, was tausende nach dem Krieg unter der Herrschaft der sowjetischen Besatzungsmacht und ihrer deutschen Handlanger erleben mussten, Verhaftung, Verhör, Sonderlager. „Wer nicht für uns ist, ist gegen uns – weil wir die wahren Antifaschisten sind, ist der, der gegen uns ist, ein Faschist.“ Wolfgang Leonard zeigt in seinem Buch, wer die wirklichen Spalter Deutschlands waren, welcher Methoden und welcher Sprache sie sich bedienten …
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Sehen Sie dazu auch den Film: Das Bernsteinamulett – Ein Stück deutscher Kriegs- und Nachkriegsgeschichte in Starbesetzung mit: Muriel Baumeister, Nadeshda Brennicke, Nadja Tiller; Regie: Gabi Kubach – nach dem gleichnamigen Roman von Peter Prange
sowie die einzigartige Filmtrilogie: Tannbach – Schicksal eines Dorfes – Ein Stück Geschichte des Dorfes Mödlareuth. Hier eine Dokumentation, die zum Film im ZDF lief:
Nachtrag: Die erste Staffel von Tannbach fand ich sensationell. Doch wie man es häufig bei Fortsetzungen erlebt, erreichte die zweite Staffel nach meiner Auffassung nicht mehr die Klasse der Vorgängerin.
Der Zuschauer wird durch drei Phasen der Nachkriegsentwicklung geführt: Die Nachwirkungen der Bodenreform, die nicht zu den „erträumten“ Zielen der kommunistischen Staatsführung führte, die man, so Karl Marx, erreicht, wenn man die Produktionsmittel in die Hände der „Werktätigen“ legt. Der Misserfolg führte in den nächsten Jahren zur Zwangskollektivierung. Im 5. Teil erleben wir den Bau der Mauer, im 6. den Prager Frühling. Was zu den neuen Folgen dennoch unbedingt anzumerken wäre, das sind die ausgezeichneten schauspielerischen Leistungen der Hauptdarsteller. Alle Folgen erhalten Sie als DVD bei Amazon.
Mit dem Roman „Das Bernsteinamulett“ gelang Peter Prange im Jahre 1999 der Durchbruch als Schriftsteller. Dieter Wunderlich schreibt in einer Rezension zum Roman: „Peter Prange versteht es, eine in historische Zusammenhänge eingebettete komplexe Geschichte mit einer unglaublichen Fülle von Einzelheiten ergreifend und mitreißend zu gestalten. Er schreibt außergewöhnlich bildhaft und überrascht die Leser alle paar Seiten mit einer unerwarteten Wendung. Leider ist der Roman „Das Bernstein-Amulett“ nicht frei von Klischees. Und ein wenig mehr Lektorierung hätte dem Buch gut getan …“
Quelle: https://www.dieterwunderlich.de/Prange_bernstein.htm (c) Dieter Wunderlich
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Verlorene Generationen I und II | 2021 |
„Hast du kein Gepäck?“ fragte sie mich erstaunt. - „Doch, das liegt schon im Hotel“, erwiderte ich. Wenige Minuten später standen wir beide an der Rezeption des Hotels. Der überraschte Blick des Portiers entging mir ebenso wenig, wie das Tuscheln zweier weiterer Hotelmitarbeiterinnen, die einige Meter von uns entfernt ebenfalls hinter dem Tresen standen. „Ihren Ausweis bitte“, sprach der Herr Hélène mit trockener Stimme an. Die hatte ihren Pass bereits aus der Umhängetasche gezogen … | |
| Er gab sich gar nicht erst die Mühe, den Pass zu öffnen, sondern sah mit streng nach oben gezogenen Augenbrauen auf den Deckel. Im oberen Teil der goldene Aufdruck: „République de la France“, unterhalb des Wappens „Passeport“. Mit affektiertem Hüsteln reichte er Hélène den Pass zurück. „Es tut mir sehr leid, meine Herrschaften. Leider ist es nicht möglich, einem Bürger der DDR in Begleitung einer Bürgerin der Republik Frankreich in diesem Hotel ein Zimmer zu geben. Es tut mir leid.“ Das letzte wiederholte er zweimal, als wollte er jeglichen Widerspruch oder jede Frage von vornherein im Keim ersticken. „Was ist das denn?“ Hélène empörte sich. „Ich kann überall auf dieser Welt ein Hotelzimmer beziehen, mit wem und solange ich will!“ Beide Hände in die Hüften gestemmt, stampfte sie mit einem Fuß. Der hohe Absatz klirrte auf dem Steinfußboden ... |
„Sie haben telefonisch ein Doppelzimmer für sich und ihre Ehefrau bestellt.“ Er erinnerte mich an einen dieser besserwisserischen Oberlehrer, die bereits mit dem Ton ihrer Rede durchblicken lassen, dass jeglicher Widerspruch zwecklos bleibt. „Ist die Dame ihre Ehefrau?“ „Das ist doch völlig egal, ob Ehefrau, Bekannte oder sonst irgendetwas“, mischte Hélène sich erneut wutschnaubend ein. „Uns ist das nicht egal, meine Dame“, erwiderte er im selben Ton. „Na gut, dann geben sie uns eben zwei Einzelzimmer.“ Hélène grinste siegesbewusst, als sei sie sich bereits sicher gewesen, ihn überlistet zu haben. Er schüttelte den Kopf: „Tut mir leid, zwei Einzelzimmer stehen leider nicht zur Verfügung.“ ... Alle Leseproben>>> |
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